Schadenersatzpflicht wegen unrealistischer Überschussprognosen in der Lebensversicherung?

Prognosen über die Höhe der Überschussbeteiligung (Beispielrechnung) und damit der zu erwartenden Ablaufleistung in der Kapitallebensversicherung sind im Wettbewerb der Lebensversicherungsunternehmen ein wesentliches Werbeargument. Hinweise auf die Unverbindlichkeit solcher Aussagen waren bei Vertragsabschluss oft nicht deutlich genug. Zudem wurde – obwohl seit Jahren fallende Kapitalerträge zu verzeichnen sind – die Gewinnbeteiligung häufig weiter auf einem Niveau aufrecht erhalten – und auch gegenüber neuen Kunden entsprechende Prognosen über die zu erwartenden Ablaufleistungen abgegeben – das maßgebliche Stimmen inzwischen bereits als unrealistisch beurteilten. Ergeben sich nach den aufgrund der langanhaltenden Börsenbaisse und den zurückgegangenen Durchschnittsrenditen festverzinslicher Wertpapiere durchgeführten Senkungen der Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung mögliche Schadenersatzansprüche für die Versicherten?
 

Überschussbeteiligung und Ablaufleistung

Die Lebensversicherung hat in der Planung der Altersvorsorge weiter Kreise der Bevölkerung erhebliche Bedeutung. Dazu werden Lebensversicherungen aber auch zunehmend als Kapitalanlageprodukte und insbesondere auch im Rahmen von Finanzierungen – z. B. zur Tilgung von Hypotheken oder zur Finanzierung der betrieblichen Altersversorgung - eingesetzt. Hier spielt die Höhe der Rendite und der erwarteten Ablaufleistung eine besondere Rolle im Sinne einer gewissen Planungssicherheit.

Die Ablaufleistungen einer Kapitallebensversicherung setzen sich zusammen aus den garantierten Leistungen und den Überschüssen. Die seit Jahren zurückgehenden Kapitalerträge der Lebensversicherungsunternehmen bleiben nun nicht ohne Folgen für die Höhe der Überschussbeteiligung (oder Gewinnbeteiligung) und damit für die Ablaufleistungen insgesamt. Da die Ablaufleistung hinter den Erwartungen zurückbleiben kann, entsteht bei Ablauf der Versicherung eine erhebliche und u. U. nicht mehr zu schließende Finanzierungslücke zur Erreichung des ursprünglichen Ziels.

Garantiert ist eben nur die garantierte Versicherungssumme (oder die garantierte Rente), während die Höhe der Überschüsse zunächst eher hypothetischen Charakter hat. Nicht immer wurde dies jedoch den Versicherten bei Vertragsabschluss auch in der wünschenswerten Deutlichkeit so vermittelt.
 

Ausmaß der Senkung der Überschussbeteiligung

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 25. Januar 2003 unter „Böse Überraschung für Lebensversicherte“ über die stark gesunkenen Ablaufleistungen. Bisher nur auf Anfrage nennen Lebensversicherungsunternehmen die nach jetzigem Stand zu erwartenden reduzierten Auszahlungssummen. Da bisher keine automatischen Informationen der Kunden erfolgen,

haben die meisten Lebensversicherten keine Möglichkeit, die in der Beispielrechnung bei Vertragsschluss prognostizierte Ablaufleistung mit derjenigen zu vergleichen, die sich aktuell ... ergibt.

Auf Anfrage erfuhr ein Kunde, der 1991 einen auf 30 Jahre laufenden Vertrag abgeschlossen hatte, dass gegenüber der in seiner Beispielrechnung genannten Summe von 158.000,-- Euro unter den gegenwärtigen Umständen nur ca. 96.000,-- Euro bei Ablauf zu erwarten seien. Diese Verminderung sei – so FAZ - im Branchenvergleich weder als besonders gut noch besonders schlecht zu beurteilen.

Betroffen sind außer Kapitallebensversicherungen auch private Rentenversicherungen sowie Berufsunfähigkeitsversicherungen. Bei privaten Rentenversicherungsverträgen kann es sogar zu Verminderungen bereits laufender Renten kommen, bei Berufsunfähigkeitsversicherungen auch zu Prämienerhöhungen, soweit Zinsüberschüsse beitragsmindernd eingerechnet waren, sowie zu deutlich geringeren dynamischen Rentenerhöhungen und Verminderungen voraussichtlicher Überschussrenten.

Besonders stark wirkt sich eine Verminderung der Gewinnbeteiligung in der Lebensversicherung bei Hebelmodellen aus, die z. B. zur Finanzierung von Immobilien oder auch von privaten Rentenversicherungen eingesetzt wurden. Im Zusammenspiel steuerfreier Lebensversicherungserträge und steuerlich abzugsfähiger Darlehenszinsen wurde oft eine ertragssteigernde Hebelwirkung unterstellt, die bei einer starken Verminderung der Überschussbeteiligung in einen umso größeren Verlust umschlägt. Ein extremes Beispiel sind die sogenannten darlehensfinanzierten Rentenversicherungen. Hier droht sogar die rückwirkende Nichtanerkennung der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Darlehenszinsen, wenn das Hebelmodell sich insgesamt als verlustbringend erweist.

Wie groß die Wirkung schon kleiner Senkungen der Zinsüberschüsse bei der Überschussbeteiligung ist, zeigt ein Rechenschema des MBO Verlages. Das Rechenschema steht kostenlos zum Download unter Überschussbeteiligung bereit. Es kann unter Microsoft Excel ab der Version 97 benutzt werden. Das Schema verdeutlicht allerdings nur die grundsätzliche finanzmathematische Wirkung und kann eine genaue versicherungsmathematische Berechnung bzw. konkrete Anfrage beim Versicherer nicht ersetzen.
 

Werbung mit unrealistischen Überschussprognosen

Seit der 1994 erfolgten Deregulierung kann das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) bzw. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die vorher übliche systematische Vorlage eines Plans für die Darstellung und Erläuterung der künftigen Überschussbeteiligung von den Lebensversicherungsunternehmen nicht mehr verlangen.

Nachdem vorher bereits in Fachkreisen Zweifel an der Finanzierbarkeit der gemäß Beispielrechnungen in Aussicht gestellten Überschussprognosen geäußert wurden, kritisierte das BaFin im Pressekolloquium vom 17.06.1999 zum Thema „Versicherungsaufsicht an der Schwelle zum Jahr 2000: Lebensversicherung: Werbung mit der Überschussbeteiligung“ die Darstellung der künftigen Entwicklung der Überschussbeteiligung:

Gerade in Zeiten sinkender Zinsen stellt sich jedoch die Frage, ob die Werbeaussagen - auch wenn sie formal unverbindlich sind - wirklich ein realistisches Bild von der tatsächlichen Überschusskraft eines LVU (Lebensversicherungsunternehmen) geben. Falls ein LVU Leistungsdarstellungen herausgibt, die auf unrealistischen Annahmen über die künftige Überschussbeteiligung beruhen, sind die Belange der Versicherten berührt. Als krasses Beispiel sei der Fall erwähnt, wo sich die Notwendigkeit einer Senkung der Überschussbeteiligung in der Zukunft bereits abzeichnet, gleichwohl aber noch auf der Grundlage der derzeit deklarierten Überschussanteilsätze Beispielrechnungen erstellt werden.

Gerade in Zeiten niedriger Kapitalerträge besteht die Gefahr, dass die LVU allein aus Wettbewerbsgründen Darstellungen der künftigen Entwicklung herausgeben, die nicht mehr als realistisch, sondern als irreführend im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb eingestuft werden könnten. Das BAV hat die Aufgabe, eine Irreführung der Verbraucher zu unterbinden.

Auch bei örtlichen Prüfungen der Aufsichtsbehörde in Lebensversicherungsunternehmen kam es regelmäßig zu Beanstandungen. So bemerkt der Geschäftsbericht 2000 des BAV, S. 32:

Bei nahezu allen örtlichen Prüfungen kam es zu Beanstandungen im Bereich der Werbung mit der Überschußbeteiligung. Das Spektrum reichte von fehlenden Finanzierbarkeitsberechnungen über unzureichende Hinweise auf die Unverbindlichkeit der Beispielrechnungen bis zur Werbung mit eindeutig zu hohen Überschußanteilsätzen.

Im Rundschreiben R2/2000 vom Oktober 2000 wird das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) bzw. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) noch konkreter:

Die über die garantierte Leistung hinausgehende Leistung hängt von der Höhe der zukünftig vom LVU (Lebensversicherungsunternehmen) zu erzielenden Überschüsse ab. Es ist daher nicht vorhersehbar, wie hoch die bei Vertragsablauf tatsächlich gezahlte Gesamtleistung sein wird. Jede Angabe zur Gesamtleistung vor oder bei Vertragsschluss kann also nur auf mögliche Leistungen gerichtet sein. Je weiter der Vertragsablauf in der Zukunft liegt, desto hypothetischer sind derartige Angaben. Diese Unsicherheiten sind den VN häufig nicht bewusst, wenn sie sich zum Abschluss eines Versicherungsvertrages entscheiden.

Die Angaben bergen das Risiko, dass damit bei den VN (Versicherungsnehmern) Gewinnerwartungen geweckt werden, die später nicht erfüllt werden können. Dem dürfen die LVU jedenfalls keinen Vorschub leisten; anderenfalls könnten sie zivil- oder aufsichtsrechtliche Vorschriften verletzen. ...

Das BAV hat in zahlreichen, z.T. veröffentlichten (vgl. GB BAV 1996, Teil A, Seite 41, GB BAV 1998, Teil A, Seite 44) Fällen festgestellt, dass die Werbung mit der Überschussbeteiligung den aufsichtsrechtlichen Mindeststandards nicht entspricht.

Weiter gibt das BAV (die BaFin) Hinweise zur Darstellung der Leistungen aus Lebensversicherungsverträgen , die eine Irreführung der Verbraucher vermeiden sollen:

Die nachfolgenden Grundsätze stützen sich in erster Linie auf §§ 81 VAG (Versicherungsaufsichtsgesetz), 3 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb). Möglicherweise weitergehende Anforderungen (Aufklärungspflichten, Transparenzgebot) lassen sich beim gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung nicht mit der für die Festlegung genereller Anforderungen erforderlichen Sicherheit aufstellen.

Unzulässig sind daher zunächst irreführende Leistungsdarstellungen. Eine Irreführung liegt vor, wenn nicht unerhebliche Teile des Adressatenkreises mit den betreffenden geschäftlichen Angaben Vorstellungen verbinden, die mit den wirklichen Verhältnissen nicht im Einklang stehen. Irreführend können aber auch Angaben sein, die den Kunden veranlassen, von einer eigenen Beurteilung abzusehen, weil er sich darauf verlässt, dass das beworbene Produkt bzw. die Leistungsdarstellung den Standards der diesbezüglichen Fachkreise entspricht. Grundlage für die Beurteilung derartiger Angaben ist dabei nicht die Frage, ob die Angaben richtig oder falsch sind. Eine solche Beurteilung ist nicht möglich. Grundlage für die Beurteilung ist vielmehr, dass mit der Weitergabe solcher Angaben eine Tatsachenbehauptung verbunden ist, die sich auf die Art der Ermittlung der dargestellten Werte bezieht. Entscheidend ist also, welche Erwartungen der Verbraucher an die Zuverlässigkeit und Seriosität dieser Werte hat. Dabei ist davon auszugehen, dass der VN (Versicherungsnehmer) erwartet, dass das LVU (Lebensversicherungsunternehmen) seine Angaben "nach bestem Wissen und Gewissen", unter sorgfältiger Einbeziehung aller Erkenntnisse, die sich auf die Überschussbeteiligung auswirken können, gemacht hat.

Die Prüfung richtet sich nach dem Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise. Dies sind bei einer Lebensversicherung im Regelfall alle Schichten der Bevölkerung. Adressat sind somit auch Bevölkerungskreise, die im Wirtschaftsleben weniger gewandt sind. An die Prüfung der Irreführung ist aus diesem Grund ein strenger Maßstab anzulegen, der sich an diesen weniger gewandten Kreisen orientiert.

Problematisch ist insbesondere, wenn Neukunden mit Beispielrechnungen geworben werden, die die für den Bestand noch zuletzt deklarierte – ggf. wegen gesunkener Zinserträge bereits aus anderen Quellen (wie stillen Reserven) finanzierte - Überschussbeteiligung in die Zukunft fortschreiben, obwohl es bereits absehbar ist, dass diese nicht auf Dauer zu halten oder zumindest völlig ungewiss sind. Hierzu äußert sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in ihrem Rundschreiben R2/2000 wie folgt:

Die aktuell deklarierte Überschussbeteiligung kann allenfalls der Ausgangspunkt für diese Überlegungen sein. Die Fortschreibung der aktuell deklarierten Überschussanteilsätze ist nur zulässig, wenn das LVU (Lebensversicherungsunternehmen) auch mittel- und langfristig davon ausgeht und zum Zeitpunkt der Herausgabe der Prognose vernünftigerweise davon ausgehen darf, dass die deklarierten Überschussanteile den VN (Versicherungsnehmern) auch künftig gewährt werden können. Dies dürfte bei der gegenwärtigen Kapitalmarktsituation bei vielen LVU nicht der Fall sein. Aufgrund des mittlerweile lang anhaltenden und auf diesem Niveau verharrenden Zinstiefs am Rentenmarkt droht die Durchschnittsverzinsung der Kapitalanlagen bei einigen LVU auf ein Niveau abzusinken, das eine baldige Anpassung insbesondere der Zinsüberschussanteilsätze erwarten lässt. Der Hinweis: "Den dargestellten Gesamtleistungen liegen die für das Kalenderjahr .... deklarierten Überschussanteilsätze zugrunde" kann aber nur erfolgen, wenn die Darstellung anhand der aktuell deklarierten Überschussbeteiligung auch für die Zukunft realitätsnah ist. Ist das nicht der Fall, ist die Werbung trotz dieses Hinweises als irreführend anzusehen, wenn die Überschussanteilsätze voraussichtlich gesenkt werden müssen oder sollen. ...

Eine realitätsnahe Angabe zur Höhe der künftigen Überschussbeteiligung ist nur für wenige Jahre möglich. Bei einigen LVU gilt dies möglicherweise nur für eine Frist von ca. zwei Jahren, bei anderen LVU, die über ausreichend stille Reserven verfügen und diese ggf. auch einsetzen wollen, über einen längeren Zeitraum. Klar ist aber, dass Zahlenangaben, die über diesen Zeitraum hinausreichen, nicht realistisch sein können.

Von diesem Zeitpunkt an können die LVU der Forderung, nur realitätsnahe Zahlen zu prognostizieren, nicht mehr nachkommen. Empfehlenswert wäre, Zahlenangaben, die über den genannten überschaubaren Zeitraum hinausgehen, nicht zu verwenden. Soll dies aus den bereits zu Beginn genannten Gründen dennoch erfolgen, so ist eine Irreführung des VN nur dadurch auszuschließen, dass dieser in aller möglicher Deutlichkeit auf den hypothetischen Charakter der Darstellung hingewiesen wird.

Daneben führt die BaFin in Rundschreiben R2/2000 jedoch weitere Punkte auf, die für die Beurteilung einer konkreten Darstellung der Überschussbeteiligung als irreführend bedeutsam sein können. Letztlich ist in jedem Einzelfall eine sachverständige versicherungsmathematische Überprüfung erforderlich, bevor die Sachverhalte auch rechtlich gewürdigt werden können.

Zusammenfassend ist also hervorzuheben, dass eine Werbung mit der Überschussbeteiligung nicht nur dann irreführend ist, wenn dem Versicherer bekannt sein konnte, dass die in Aussicht gestellten Überschüsse von vornherein bereits nicht mehr realistisch waren (dazu unten mehr). Vielmehr ergibt sich aus dem genannten Rundschreiben eine Vielzahl von Anhaltspunkten, wann die Darstellung der Überschussbeteiligung als irreführend anzusehen ist.

Eine spezielle Fallgestaltung liegt vor, wenn die in Aussicht gestellte Überschussbeteiligung zu „verbindlich“ dargestellt wurde, so dass der Versicherer in jedem Fall daran gebunden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Versicherer ggf. selbst unbegründet fest an die dauerhafte Finanzierbarkeit der in Aussicht gestellten Überschussbeteiligung glaubte und somit gewissermaßen auch schon „irregeführt“ war.
 

Irreführende Renditeangabe

Von Versicherungsunternehmen wurde außer mit der Überschusshöhe selbst auch mit der sogenannten Rendite geworben. Hierbei wurden meist von der Prämie sowohl Abschlusskosten wie laufende Kosten und der Anteil für den Risikoschutz oder Zusatzversicherungen (z. B. für Berufsunfähigkeit) abgezogen und somit die Rendite nur auf den „Sparanteil“ der Prämien bezogen. Da dieser den Versicherten nicht transparent wurde, ist der Vergleich mit anderen Kapitalanlageprodukten sehr erschwert. Auch diese Praxis hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Rundschreiben R2/2000 angegriffen:

Die Rendite darf nur auf der Grundlage der tatsächlich zu zahlenden Prämie und der Erlebensfalleistung (einschließlich Überschussbeteiligung) berechnet werden (vgl. bei Konsumentenkrediten § 4 Abs. 2 Preisangaben-VO). Die Angabe einer Rendite nach Abzug der Prämienanteile für Kosten und Risiko wäre dagegen zu beanstanden, selbst wenn die Berechnungsmethode ausdrücklich angegeben würde. Denn die Höhe etwaiger Abzüge ist für den Versicherungsnehmer nicht überprüfbar und die Berechnung daher nicht einmal theoretisch nachvollziehbar. Außerdem handelt es sich bei einem Versicherungsvertrag um einen einheitlichen Vertrag. Anders als z.B. beim Kauf von Wertpapieren sind die renditemindernden Faktoren aus Sicht des Kunden keine eigenständigen Rechnungsposten. Hinzu kommt, dass die Verwendung der Begriffe Netto- und Bruttorendite bei einem Versicherungsvertrag zwangsläufig verwirrend wirken müsste, da hier anders als bei Wertpapieren oder Investmentfonds die "Nettorendite" (d.h. die Rendite nach "Abzug der Kosten") höher wäre als die "Bruttorendite". ...

Für den Versicherungsnehmer muss zweifelsfrei erkennbar sein, dass es sich nicht um Spar- oder Anlagegeschäfte handelt.

Welcher Kapitalanleger würde es nicht als irreführend bezeichnen, wenn ihm für 100 Euro Anlage 10 % Nettorendite versprochen werden, er dann aber nach Abzug von 50 Euro Kosten am Ende die netto übriggeblieben 50 Euro zuzüglich der darauf bezogenen „Nettorendite“ von 5 Euro (10 % von netto 50 Euro) - also nur noch 55 Euro von ursprünglich 100 - zurückerhält?

Auch aus dem Aspekt der Beratungshaftung bei der Versicherungsvermittlung kann sich eine Haftung ergeben, wenn der Kunde ein Kapitalanlageprodukt gesucht hat und ihm dafür ein Lebensversicherungsprodukt unter Verwendung der in diesem Zusammenhang irreführenden und wegen des grundsätzlich anderen Charakters des Versicherungsprodukts so nicht anwendbaren Begriffe von Kapitalanlageprodukten vermittelt wurde.

Dennoch musste die Aufsichtsbehörde auch im Jahr 2002 wieder die Darstellung der Überschussbeteiligung bei vielen Unternehmen beanstanden. So verlautbart der Jahresbericht 2002 der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), S. 123:

3.1.6 Werbung mit der Überschussbeteiligung

Im Berichtszeitraum befasste sich die BaFin verstärkt mit der Darstellung der künftigen Überschussbeteiligung. Dabei sieht die Aufsicht die Leistungsdarstellung dann nicht als Missstand im Sinne des § 81 Absatz 2 VAG an, wenn sich die Lebensversicherer zumindest an die Empfehlung im Rundschreiben 2/2000 vom 23. Oktober 2000 halten.
Bei nahezu allen örtlichen Prüfungen und während der laufenden Aufsichtstätigkeit kam es jedoch hierbei zu zahlreichen Beanstandungen. Die wesentlichen Kritikpunkte betrafen die unzureichende Hervorhebung der garantierten Leistung gegenüber der Überschussbeteiligung sowie die oft fehlende Angabe des garantierten Tarifbeitrags bei Risikoversicherungen. Angesichts der negativen Entwicklung auf den Kapitalmärkten war in einzelnen Fällen sowohl die Höhe der verwendeten Überschussanteilsätze als auch die Höhe des im Finanzierbarkeitsnachweis der Überschussbeteiligung zugrunde gelegten, unternehmensinternen Zinssatzes zu kritisieren. Die BaFin forderte die Lebensversicherungsunternehmen auf, die notwendigen Korrekturen unverzüglich vorzunehmen.

Einige Lebensversicherer stellten in der Präsentation ihrer Überschussdeklaration für das Geschäftsjahr 2003 in der Presse die Gesamtverzinsung, die üblicherweise als Rechnungszins zuzüglich laufendem Zinsüberschussanteilsatz definiert wird, inklusive der Schlussüberschussanteile in einem Zinssatz dar. Die BaFin weist ausdrücklich darauf hin, dass derartige Angaben geeignet sind, die Versicherungsnehmer irrezuführen. Sie forderte die betroffenen Unternehmen auf, diese Form der Darstellung zu unterlassen.

Bei zahlreichen örtlichen Prüfungen musste die BaFin die Darstellung der künftigen Überschussbeteiligung rügen. Die Bafin rügte die Darstellung der Gesamtverzinsung durch einige Versicherer über die Presse.

 

Schadenersatzansprüche

Bereits in der Pressemitteilung vom 17.06.1999 weist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) darauf hin, dass sich aus irreführender Darstellung der Überschussbeteiligung mögliche Schadenersatzansprüche ergeben können.

Neben den aus einer irreführenden Darstellung der Überschussbeteiligung sich ergebenden Schadenersatzansprüchen der Versicherungsnehmer sind ggf. auch Ansprüche auf Vertragserfüllung gemäß der ursprünglich in Aussicht gestellten Überschussbeteiligung herzuleiten, wenn diese z. B. zu verbindlich oder erkennbar von Beginn an nicht dauerhaft finanzierbar war. Dazu äußert sich die BaFin im späteren Rundschreiben R2/2000 wie folgt:

Irreführende Darstellungen der künftigen Leistungen aus einem Lebensversicherungsvertrag können eine Vielzahl von VN (Versicherungsnehmern) zu für sie ungeeigneten oder ungünstigen Vertragsabschlüssen verleiten.

Darüber hinaus kann eine derartige Praxis dazu führen, dass die Erfüllbarkeit der Verträge nicht mehr gewährleistet ist (§ 81 Abs. 1 Satz 5 VAG). Denn sind die Angaben des LVU (Lebensversicherungsunternehmen) geeignet irrezuführen, so können sich Ansprüche des VN aus dem Rücktrittsrecht des § 13a UWG sowie Schadenersatzansprüche aus dem Rechtsinstitut der culpa in contrahendo ergeben. Dabei kann die Höhe des Schadenersatzanspruchs die garantierte Leistung zuzüglich der in der Werbung avisierten Überschussbeteiligung übersteigen, da die Höhe der Ansprüche aus culpa in contrahendo nicht durch das positive Interesse begrenzt ist. Ein erhebliches Risiko liegt auch darin, dass die Rechtsprechung solche Leistungsdarstellungen den Anforderungen des AGB-Gesetzes unterwirft. Schließlich könnte eine unsachgemäße Darstellung der Überschussbeteiligung als verbindliches Leistungsversprechen des LVU und damit Vertragsbestandteil angesehen werden. In diesem Fall wäre das LVU verpflichtet, die "versprochene" Leistung vertragsgemäß zu erbringen.

Hier wäre zum Beispiel an Ansprüche auf vollständige Rückabwicklung von Immobilienfinanzierungen von sogenannten „Schrottimmobilien“ zu denken, die auch aufgrund von Steuersparmodellen zustandekamen, welche auf ggf. irreführenden Darstellungen der Überschussbeteiligung der zur Tilgung abgeschlossenen Kapitallebensversicherungen beruhten. Dabei kommt als Schadenersatz auch zusätzlich der Ausgleich für den Wertverlust der Immobilien gegenüber dem ursprünglich zu hohen Kaufpreis sowie der Ersatz aller Kosten in Betracht.

In einer unverbindlichen Verbandsempfehlung Nr. 0456/2000 vom 25.02.2000 "Leistungsdarstellung in der Lebensversicherung" schreibt der GDV:

...Vornehmliches Ziel war es, praktikable Lösungsvorschläge zu entwickeln, bevor die Sachverhalte ggf. gerichtlich geregelt werden. ...

Die Unverbindlichkeit dieser Modellrechnungen muss dem Kunden unmissverständlich verdeutlicht werden. Doch selbst dann kann die Unverbindlichkeit nicht als Begründung dafür herangezogen werden, in den Modellrechnungen willkürliche Überschussanteilsätze heranzuziehen. Denn aus unserer Sicht stellen unternehmensindividuelle Modellrechnungen auch bei Berücksichtigung ihrer reinen Beispielhaftigkeit einen Verstoß gegen § 3 UWG dar, wenn sie nicht aus der jeweiligen Unternehmenssituation begründet werden können. ...

Abweichungen nach unten sind zur Verhinderung des Vorwurfs der Irreführung des Kunden zumindest dann angezeigt, wenn konkrete Hinweise bestehen, dass eine Absenkung der Überschussbeteiligung unter den gegenwärtig deklarierten Wert ansteht.

Um nicht in solchen oder ähnlichen Situationen dem Vorwurf der Falschberatung ausgesetzt werden zu können, ist eine eigenverantwortliche, unternehmensindividuelle Überprüfung erforderlich, ob die Verwendung der aktuellen Deklaration als Basis für die Modellrechnungen in Einklang mit der aktullen Unternehmenssituation steht. ... Durch die zusätzliche Prüfung kann allerdings insbesondere möglichen Einwänden begegnet werden, ein LVU habe über die Notwendigkeit einer relativ kurz nach Vertragsschluss stattfindenden Absenkung bereits zum Termin des Vertragsabschlusses gewusst.

Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) warnt im Rundschreiben 0815/2003 vom 08. Mai 2003 die Lebensversicherungsunternehmen vor drohenden Schadenersatzansprüchen auch dann, wenn Kunden während des Vertragsverlaufs nicht rechtzeitig über erfolgte Absenkungen der Überschussbeteiligung und dadurch entstehende Tilgungslücken bei der Immobilienfinanzierung informiert werden:

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hält es im Rundschreiben 8/2002 für erforderlich, dass in den Fällen, in denen mit erheblichen Deckungslücken gerechnet werden muss, die betroffenen Kunden frühzeitig zu informieren sind und ihnen Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen sind. Der GDV rät den Versicherungsunternehmen daher, die Darlehensnehmer im Zusammenhang mit Informationen über aktuell erfolgende Absenkungen (der Überschussbeteiligung) auf bestehende oder voraussichtlich zukünftig entstehende Tilgungslücken hinzuweisen.

Der Bund der Versicherten weist im BdV-Info 1/03 vom Juni 2003 S. 8 darauf hin, dass gegen Versicherer, die nicht rechtzeitig informieren, Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden können, z. B. wenn die Notwendigkeit einer Nachfinanzierung deshalb erst später erkannt wird und nur noch zu höheren Zinssätzen möglich ist.

Die Kanzlei Tilp & Kälberer vertritt einen Kunden in einer Klage gegen MLP auf Rückabwicklung einer fondsgebundenenen Lebensversicherung wegen (behaupterer) bewusst falscher Angaben zur voraussichtlichen Überschussbeteiligung. Nähere Informationen zu diesem Verfahren sind auf der Homepage von Tilp & Kälberer eingestellt.
 

Haftung als verantwortlicher Aktuar

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) weist in der Pressemitteilung vom 17.06.1999 warnend darauf hin, dass ein verantwortlicher Aktuar, der es unterlässt, eine realistische Einschätzung der künftigen Überschussbeteiligung vorzunehmen, seine Pflichten verletzt.

Nach dem Ergebnis der Arbeitsgruppe der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) (vorgelegt am 10.11.1999 von Eckart Westphalen, Aktuar DAV) besteht keine Haftung des Verantwortlichen Aktuars, denn seine Aufgaben und Pflichten sind gemäß § 11 VAG die Überwachung der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen, die Verantwortung für die Bildung ausreichender Rückstellungen und gemäß § 11a VAG der Vorschlag für die aktuelle Deklaration der Überschussbeteiligung. Die Verantwortung für die Festsetzung liegt dagegen beim Vorstand.

Auf der Frühjahrstagung der DAV am 30.04.2003 bemängelte jedoch Regierungsdirektor Wolfgang Vogel, Aktuar DAV (BaFin), dass auch für 2003 von unterschiedlichen Lebensversicherungsunternehmen noch vor dem Hintergrund der gesunkenen Kapitalerträge weiterhin unrealistisch hohe Überschussdeklarationen vorgenommen wurden. Bei der Überschussdeklaration seien die Vorstände zum Teil den Vorschlägen der Verantwortlichen Aktuare gefolgt, zum Teil aber auch darüber hinaus gegangen – oder auch darunter geblieben.

Problematisch dabei sei laut Aktuar DAV Vogel insbesondere , wenn ein Verantwortlicher Aktuar die Höhe der vorgeschlagenen Überschussbeteiligung überhaupt nicht stichhaltig begründe, denn dies erleichtere dem Vorstand, davon abzuweichen.

Im Hinblick auf den Vorschlag zur angemessenen Beteiligung am Überschuss wäre es zu begrüßen, wenn der Verantwortliche Aktuar zusätzlich zur Höhe der Überschussanteilsätze auch eine aktuariell fundierte Begründung dafür dem Vorstand vorlegen würde. Wenn der Vorstand in seinem Beschluss von der vorgeschlagenen Höhe nach oben abweicht, muss er gegebenfalls entsprechende Maßnahmen zur Finanzierbarkeit der erhöhten Überschussbeteiligung treffen. (Podiumsdiskussion im Rahmen der Mitgliederversammlung der DAV am 30.04.2003 in Bonn zum Thema "Krise in der Finanzwirtschaft - Was erwartet die Aufsicht von den Aktuaren?", Der Aktuar, 2/2003, S. 48)

Wie in den Vorjahren musste die Aufsichtsbehörde auch im Jahr 2002 wieder Berichte der Verantwortlichen Aktuare zur Festlegung der Überschussbeteiligung beanstanden. So verlautbart der Jahresbericht 2002 der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), S. 122f:

3.1.5 Erläuterungsbericht des Verantwortlichen Aktuars

Wie bereits in den vergangenen Jahren haben einige Verantwortliche Aktuare in ihren Berichten gemäß § 11a Absatz 3 VAG den Besonderheiten des jeweiligen Lebensversicherers nicht ausreichend Rechnung getragen. Insbesondere wurden die in den Rechnungsgrundlagen enthaltenen Sicherheitsspannen wieder nicht ausreichend dargestellt.

Die Aufsicht monierte die fehlende Berichterstattung und forderte in folgenden Punkten eine Korrektur der Berichte:

· Die Beurteilung der in der Rechnungsgrundlage »Rechnungszins« vorhandenen Sicherheitsspanne stützte sich auf Renditen, die nicht angemessen sind. In einigen Fällen wurden die Vergleichsrenditen nicht aus den Erträgen der Vermögensanlagen des Unternehmens ermittelt, sondern basierten auf dem Zehnjahresdurchschnitt der Umlaufrenditen der öffentlichen Hand. In anderen Fällen wurden die unternehmensindividuellen Vergleichsrenditen unangemessen erhöht, indem eine Durchschnittsbildung mit den Werten des Unternehmens unter Einschluss vergangener Jahre vorgenommen wurde. Zum Teil wurde sogar lediglich auf die Sicherheitsspanne hingewiesen, ohne diese zu quantifizieren oder den zugrunde liegenden Vergleichszins anzugeben.

· Bei der Darstellung der in den biometrischen Rechnungsgrundlagen enthaltenen Sicherheiten sollten auch die aus der Berichterstattung an die BaFin bekannten Verluste für Teilbestände einzelner Ergebnisquellen berücksichtigt werden.

· Falls in den einzelnen Abrechnungsverbänden und Bestandsgruppen besondere Auffälligkeiten beim Kostenergebnis auftreten, sollte darauf gesondert eingegangen werden.

· Die Ergebnisse der Szenariorechnungen über Sicherheitsmittel und Liquidität sollten ausführlich erörtert werden.

Die betroffenen Lebensversicherungsunternehmen sagten zu, künftig verstärkt auf die Darstellung der unternehmensindividuellen Besonderheiten im Erläuterungsbericht zu achten.

Die Situation als Verantwortlicher Aktuar und gleichzeitig als Angestellter des Versicherungsunternehmens kann nach Vogel´s Feststellung zwar schwierig sein, jedoch müsse sich unter den derzeitigen Kapitalmarktgegebenheiten zeigen, wie sich diese Institution bewährt.

Erfahrungen der Aufsichtsbehörde zeigen, dass sich die Institution des Verantwortlichen Aktuars in einigen Versicherungsunternehmen noch nicht ausreichend etabliert hat. Die Grundsätze der Unabhängigkeit und des verantwortungsbewussten Handelns des Verantwortlichen Aktuars scheitern nicht zu selten an den wettbewerbsbedingten geschäftspolitischen Vorgaben des Versicherungsunternehmens. (Podiumsdiskussion im Rahmen der Mitgliederversammlung der DAV am 30.04.2003 in Bonn zum Thema "Krise in der Finanzwirtschaft - Was erwartet die Aufsicht von den Aktuaren?", Der Aktuar, 2/2003, S. 48)

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt hierzu am 02. Mai 2003 unter Die Stellung veranwortlicher Aktuare soll gestärkt werden
Unabhängigkeit noch nicht überall voll gesichert/Verband der Versicherungsmathematiker spricht von Nagelprobe

Für die verantwortlichen Aktuare sieht Vogel jetzt eine Testphase. Offenbar liegen der Bafin Erkenntnisse vor, die es rechtfertigen, gelegentlich von einer Abhängigkeit der Aktuare von geschäftspolitischen Vorgaben des Vorstands zu sprechen. Wolfsdorf sagte dazu, ein Arbeitskreis der DAV prüfe bereits, welcher Schutz für einen verantwortlichen Aktuar geschaffen werden könne.

Aus Vogels Ausführungen war herauszuhören, daß er es am liebsten sieht, wenn der verantwortliche Aktuar auch Vorstandsmitglied des Versicherers ist. Jedenfalls gelte es, unterstrich er, den im Versicherungsaufsichtsgesetz formulierten Auftrag auch umzusetzen. Speziell hat Vogel bemängelt, dass Aktuare "mehr als vereinzelt" nicht ausreichend über alle Geschäftsvorfälle informiert werden, obwohl sie sich ein umfassendes Urteil bilden müssten. "Fordern Sie diese Rechte ein", rief Vogel den nahezu 1000 erschienenen DAV-Mitgliedern zu. Die Vorstände seien zu entsprechenden Informationen verpflichtet. Auch die Zusammenarbeit in den Unternehmen zwischen Aktuaren und den Kapitalanlegern müsse weiter verbessert werden. Ein schon vor zwei Jahren verschicktes entsprechendes Schreiben der Aufsicht habe in etlichen Fällen aber noch nicht gewirkt.

Nicht wenige Lebensversicherer haben Erkenntnissen der Bafin zufolge die Überschussbeteiligung ihrer Kunden bis jetzt an der oberen möglichen Grenze gehalten. An die verantwortlichen Aktuare dieser Gesellschaften sei daher der Appell zu richten, das Vorsichtsprinzip umzusetzen, sagte Vogel.

In der Tat hat es in Deutschland nicht die historische Tradition der standesrechtlichen Einbindung und starken Stellung des Aktuars wie in Großbritannien gegeben, die sich auch nach Gründung der Standesorganisation der Aktuare – Deutsche Aktuarvereinigung (DAV), der ein Aktuar DAV angehört - in Deutschland seit 1994 erst langsam entwickeln muss (vgl. G. Schroer, Der Verantwortliche Aktuar in der Lebensversicherung, Karlsruhe 2000, S. 46, 162f). Die in wesentlichen Teilen seit 1994 aufgegebene Versicherungsaufsicht bei Verlagerung dieser Funktionen auf verantwortliche Aktuare (Angestellte oder Vorstände) der Unternehmen war vor der fehlenden standesrechtlichen Tradition und einem erst aufzubauenden Berufsverband nicht unproblematisch.

Man bedenke, dass ein verantwortlicher Aktuar in der Regel zwischen zwei Stühlen sitzt: Einerseits ist er arbeitgebergebunden, diesem damit Rechenschaft schuldig und von ihm abhängig, andererseits soll er eben diesen Arbeitgeber beaufsichtigen und bei Fehlverhalten mahnen. Zusätzlich kommt es des öfteren vor, dass ein verantwortlicher Aktuar gleichzeitig Vorstandsfunktion ausübt. Ein Interessenskonflikt (Rundschreiben R 3/95 VerBAV 9/1995, S.311) ist hier offensichtlich.

Obwohl ein verantwortlicher Aktuar in der Regel als Aktuar DAV auch seiner berufsständischen Organisation (DAV) angehört, ist diese kaum geeignet, direkt in Konflikten zwischen einem Aktuar DAV und seinem Arbeitgeber zu vermitteln. Vielmehr dürfte es der arbeitsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht widersprechen, wenn sich ein angestellter Aktuar DAV substantiiert an den Vorstand seiner berufsständischen Aktuarvereinigung wendet, der doch zum großen Teil mit Vorständen von Konkurrenzunternehmen besetzt ist.

Zudem ergibt sich die Pflicht zur Verschwiegenheit für den Aktuar DAV auch aus den Standesregeln der Deutschen Aktuarvereinigung e. V.. Dies könnte so ausgelegt werden, dass der Aktuar DAV, der sich im Konfliktfall an seine Berufsvereinigung wendet, nach Durchführung eines Disziplinarverfahrens durch den Vorstand der DAV aus dieser Berufsvereinigung ausgeschlossen werden kann. Er kann sich dann zwar noch Aktuar nennen (diese Berufsbezeichnung ist nicht geschützt), aber nicht Aktuar DAV.

Verbleibt noch, anzumerken, dass der Gesetzgeber dem Verantwortlichen Aktuar zwar umfangreiche Pflichten auferlegt hat, die ihn in einen direkten Interessenkonflikt mit dem Vorstand bringen können, jedoch nur sehr eingeschränkte Durchsetzungsmöglichkeiten und im Vergleich zu annähernd konfliktträchtigen Funktionen wie Betriebsrat, Datenschutzbeauftragter oder Beauftragter für Arbeitssicherheit nicht einmal ansatzweise den besonderen Kündigungsschutz, den die Inhaber dieser Funktionen während und befristet auch nach Wahrnehmung dieser Aufgaben gesetzlich genießen.

Die Idee einer größeren Freiheit bei Vertragsgestaltungen bei gleichzeitiger verstärkter Selbstregulierung wurde somit 1994 nicht in einer vergleichbaren Wirksamkeit umgesetzt, wie im Ausland. Eine Idee des Bundesaussichtsamtes, dass ein verantwortlicher Aktuar nicht gleichzeitig Vorstandmitglied sein sollte (Geschäftsbericht GB BAV 1995, S. 21) – eben um einen Interessenkonflikt auszuschließen – scheiterte an dem Widerstand der Versicherungswirtschaft. Somit setzen sich Versicherer heute in der Öffentlichkeit leicht dem Vorwurf aus, praktisch beliebig wirtschaften zu können, weil keine funktionierende Aufsicht mehr existiere – weder von Außen, noch von Innen.

Aber selbst die Verantwortlichkeiten innerhalb der Unternehmen sind nicht immer zweifelsfrei geklärt. So kann es vorkommen, dass der Vorstand auf die Verantwortlichkeit des Aktuars hinweist, während dieser – auch zur Vermeidung von Konflikten – die Verantwortlichkeit im Zweifelsfall beim Vorstand sieht. Vor diesem Hintergrund mag es verständlich sein, dass Regierungsdirektor Vogel (BaFin), Aktuar DAV, auf der Jahrestagung der DAV 2003 bemerkte, dass nunmehr gerne auch ein Vorstandsmitglied als Verantwortlicher Aktuar gesehen werden.

Dies hat für die Aufsichtsbehörde zumindest den Vorteil, dass eine bessere Kontroll- und Ansprechmöglichkeit sowie eine einheitliche Verantwortlichkeit besteht. Ein Verantwortlicher Aktuar als Angestellter ist nämlich (zumindest in Deutschland) – außer in gesetzlich genau festgelegten Fällen - zur Verschwiegenheit verpflichtet und darf somit die Aufsichtsbehörde weder eigenständig ansprechen noch ohne Einwilligung seines Arbeitgebers ihr gegenüber auf Anfrage Auskunft geben. Mangels Weisungsmöglichkeit gegenüber dem Vorstand ist er selbst bei Gesetzesverstößen bzw.

wenn er eindeutige Missstände erkannt hat und diese von der Unternehmensleitung nicht abgestellt werden ... schon aufgrund der (arbeitsvertraglichen) Treuepflicht und aufgrund des Denunziationsverbotes zur Verschwiegenheit verpflichtet, so dass eine Weitergabe von Informationen einen Rechtsverstoß bedeuten würde. (G. Schroer, Der Verantwortliche Aktuar in der Lebensversicherung, Karlsruhe 2000, S. 121).

Schroer (S. 127) empfiehlt dem verantwortlichen Aktuar, er möge bei Meinungsverschiedenheiten mit dem Vorstand

im eigenen Interesse Wert auf möglichst umfassende Protokollierungen legen, zumal wenn sich das betreffende Versicherungsunternehmen schon in einer tendenziell kritischen Lage befinden sollte.

Auch wenn diese schriftlichen Dokumentationen beim verantwortlichen Vorstand und ggf. gleichzeitig Personalvorgesetzten u. U. nicht gut ankommen, mag dies helfen, zumindest gegenüber der Aufsichtsbehörde bei örtlichen Prüfungen nachzuweisen, dass ein verantwortlicher Aktuar seine Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt hat.

Andernfalls kann die Aufsichtsbehörde die Abberufung als Verantwortlicher Aktuar verlangen und ihre Zustimmung zu einer erneuten Bestellung bei einem anderen Unternehmen verweigern. Dies ist ihr allerdings auch möglich, wenn der verantwortliche Aktuar sich als nicht ausreichend zuverlässig erweist, was auch dann anzunehmen ist, wenn er sich gegenüber seinem Vorstand letztlich – aus welchem Grund auch immer - nicht durchsetzen konnte.

Vogel, Aktuar DAV, erinnerte auf der Jahrestagung der DAV am 30. April 2003 die Verantwortlichen Aktuare daran, dass sie ein gesetzliches Recht darauf haben, vom Vorstand alle für ihre Tätigkeit benötigten Informationen zu erhalten und forderte sie auf, dieses Recht auch in Anspruch zu nehmen. Die Aufsichtsbehörde denke weiter darüber nach, ob ein verstärkter Schutz von Verantwortlichen Aktuaren als abhängig beschäftigte Arbeitnehmer vorgesehen werden müsse. Erste ernsthafte Gespräche mit betroffenen Arbeitgeber-Vorständen habe es bereits in bekanntgewordenen Einzelfällen gegeben.

Nach Einschätzung des Sachverständigen ist die Frage der Haftung des Verantwortlichen Aktuars differenzierter zu sehen. Fraglich ist beispielsweise, ob ein Verantwortlicher Aktuar, der seinem Vorstand nur einen nicht ausreichend konkret begründeten (u. U. sogar bereits als unrealistisch zu beurteilenden) Vorschlag zur Überschussdeklaration unterbreitet, eventuell dann ohne weitere Diskussion sogar noch eine Erhöhung dieser Ansätze durch den Vorstand akzeptiert, sich mit dem Hinweis darauf jeder Haftung entziehen kann, dass der Vorstand für die Festsetzung selbst verantwortlich sei.

Da die aktuelle Überschussdeklaration zumindest als Obergrenze für die in Beispielrechnungen verwendeten Überschussprognosen anzusehen ist, ergibt sich aus dem vom verantwortlichen Aktuar zu verantwortenden Vorschlag für die Deklaration auch eine entsprechende Wirkung auf die in Beispielrechnungen verwendeten Überschüsse. Sollte ein verantwortlicher Aktuar also bereits die aktuelle Deklaration unrealistisch hoch vorschlagen, so wird er sich kaum aus der Verantwortung ziehen können, wenn sich der Vorstand auch für die Beispielrechnungen daran orientiert. Insbesondere, wenn der Vorschlag nicht einmal qualifiziert begründet oder entsprechend eingeschränkt ist, so dass der Vorstand auch nicht erkennen kann, dass die vorgeschlagene Überschussdeklaration ggf. nur unter Auflösung entsprechender stiller Reserven oder von Rückstellungen für das betreffende Jahr, nicht jedoch auch künftig aufrechtzuhalten ist, wird ein verantwortlicher Aktuar nicht von vornherein jeder Haftung entbunden sein.

Ferner kann eine Haftung als Verantwortlicher Aktuar auch gegeben sein, wenn er nicht ernsthaft und konsequent alle für seinen Vorschlag zur Überschussdeklaration benötigten Informationen vom Vorstand einfordert – z. B. auch über die Struktur der Kapitalanlagen, die darin enthaltenen Risiken sowie die Kapitalanlagepolitik des Unternehmens insgesamt – oder diese Informationen z. B. mangels Sachkunde in Kapitalanlagefragen oder aus Zeitmangel nicht qualifiziert nutzt.

Ein Verantwortwortlicher Aktuar kann aber auch direkt wegen der Nichterfüllung seines gesetzlichen Auftrags nach § 11a VAG haften, wenn er bei seinen Vorschlägen zur Überschussbeteiligung die Sicherheitslage bei den Kapitalanlagen außer Acht lässt:

Der gesetzliche Auftrag nach § 11a VAG an die Verantwortlichen Aktuare bezieht auch die Überprüfung der Sicherheitslage bei den Kapitalanlagen mit ein. Nur so kann der Kernauftrag an den Verantwortlichen Aktuar, nämlich für die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsleistungen Sorge zu tragen, erfüllt werden. Sie kennen das Credo schon, das ich Jahr für Jahr von dieser Stelle aus vortrage. ... Der Verantwortliche Aktuar muss über das Risikopotenzial und die Risikolage bei den Kapitalanlagen laufend unterrichtet sein. (Bericht des Vorsitzenden im Rahmen der Mitgliederversammlung der DAV am 30.04.2003 in Bonn, Der Aktuar, 2/2003, S. 54 ff)

Nach dem Ergebnis der Arbeitsgruppe der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei einer zu verbindlichen Darstellung der Überschussbeteiligung (im Sinne eines Erwartungswertes) ggf. der Verantwortliche Aktuar verpflichtet ist, nunmehr hierfür ausreichende (zusätzliche) Rückstellungen zu bilden, damit die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen gewährleistet ist.

Eine andere Frage ist dagegen, gegenüber wem ein Verantwortlicher Aktuar haftet. U. U. könnte sogar eine Haftung gegenüber dem einzelnen geschädigten Versicherungsnehmer begründet sein. In erster Linie werden sich aber Ansprüche der Versicherungsnehmer gegen das Versicherungsunternehmen richten müssen.

Dem Versicherungsunternehmen gegenüber wird ein verantwortlicher Aktuar als Arbeitnehmer wohl auch für solche Fehler haften müssen, die ihm bei allen übertragenen Aufgaben unterlaufen, nicht nur bei den ihm gesetzlich obliegenden Pflichten und Verantwortlichkeiten. Sollte die Darstellung der künftigen Überschussbeteiligung in Beispielrechnungen mit zu seinen Aufgaben als abhängig Beschäftigter zählen, so trifft ihn also auch hierfür eine uneingeschränkte Haftung gegenüber seinem Arbeitgeber, unabhängig davon, ob der Vorstand nach Außen die letztliche Verantwortung für die Freigabe der Beispielrechnungen zur künftigen Überschussbeteiligung trägt.

Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass ein verantwortlicher Aktuar sich durch Kompetenz und besondere Vertrauenswürdigkeit auszeichnet, so dass eine Mithaftung des Vorstands gegenüber der Arbeitnehmerhaftung als verantwortlicher Aktuar völlig in den Hintergrund treten kann. Schon aus standesrechtlichen Gründen kann sich ein Aktuar DAV bei seinen aktuariellen Entscheidungen nicht auf eine Weisungsgebundenheit berufen. Selbst für ein Organisationsverschulden des Vorstands hinsichtlich der Auswahl des verantwortlichen Aktuars bleibt kaum Raum, da die Bestellung eines verantwortlichen Aktuars gemäß 11a (2) VAG (Versicherungsaufsichtsgesetz) nur nach Prüfung der Zuverlässigkeit und fachlichen Eignung mit Zustimmung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erfolgen kann. Die BaFin kann auch gem. § 11a (2) VAG die Abberufung des verantwortlichen Aktuars verlangen, wenn dieser seine Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllt oder sonstige Zweifel an der Zuverlässigkeit und fachlichen Eignung bekannt werden.
 

Wurden die Überschussbeteilungen zu spät und zu wenig gesenkt?

Bereits 1998 warnte Dr. Helmut Müller, seinerzeit Präsident des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (BAV) in einem Interview mit der Zeitschrift GELDidee (GELDidee 16/98, S. 6ff):

In der Lebensversicherung versuchen alle Unternehmen nach Möglichkeit die magische Renditegrenze von 7,5 Prozent zu erreichen. Die laufende Verzinsung betrug aber gerade 7 Prozent. Also müssen zum Beispiel stille Reserven aufgelöst werden. ... Der Weg zu einer spekulativen Anlagepolitik ist vorgezeichnet. Aber mehr Ertrag bedeutet auch höheres Risiko. Wenn sich ein Unternehmen während einer Börsenhausse mit Aktien eingedeckt hat, muss es im Crash erhebliche Abschreibungen vornehmen.

Dr. Jörg Schulz (Bereichsleiter Marktanalysen der Gerling Firmen- und Privat-Service AG in Köln) untersuchte 1999 im Beitrag Realistische Prognosen, Lebensversicherer im Spannungsfeld von prognostizierter Ablaufleistung, Kapitalanlagepolitik und Marktwertschwankungen, Versicherungswirtschaft 19/1999, S. 1394ff, welche Sicherheiten (einschließlich stiller Reserven) in Form einer Marktwertschwankungsreserve (MWSR) Lebensversicherungsunternehmen vorhalten müssen, um einen mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Börsencrash zu überstehen:

Jede Gesellschaft muss sowohl den gesetzlichen Solvabilitätsvorschriften genügen, als auch – darüber hinaus – in der Lage sein, einen „Crash“ der Kapitalmärkte unbeschadet zu überstehen.

Dr. Schulz beschreibt die Berechnungen für einen entsprechenden Stresstest der Gerling Lebensversicherung und fährt fort:

Analoge Berechnungen kann man natürlich für jede andere Gesellschaft durchführen; dabei wird man erkennen, dass die MWSR aufgrund ihrer Zweckbestimmung – Auffangen einer unvorhergesehenen Extremsituation auf den Kapitalmärkten – nicht der freien Disposition der Versicherer unterliegt. Bezieht man sie auf die stillen Reserven, so lässt sich unmittelbar ablesen, welcher Anteil der stillen Reserven maximal für die Aufrechterhaltung der Gewinnbeteiligung genutzt werden kann.

Aufgrund der Untersuchung konkreter Lebensversicherungsgesellschaften kommt Dr. Schulz zu dem Ergebnis:

Insbesondere ist ersichtlich, dass bei einigen Wettbewerbern die stillen Reserven ihrer ursprünglichen Stabilisierungsfunktion bezüglich der Gewinnbeteiligung nicht mehr gerecht werden können. ... Im Klartext: die stillen Reserven reichen für den Ausgleich eines Börsencrashs nicht aus.

Beim Vergleich mit den von Lebensversicherungsunternehmen in Aussicht gestellten bzw. deklarierten Überschussbeteiligungen stellt er fest:

Dieses Ergebnis ist gleichzeitig erstaunlich und bedenklich; ausgerechnet die Gesellschaften mit den höchsten versprochenen Leistungen sind offenbar nicht in der Lage, mit ihren stillen Reserven einen einmaligen Crash der Kapitalmärkte abzufangen. ... Im Zusammenhang mit den unverbindlich in Aussicht gestellten Ablaufleistungen muss man leider feststellen, dass sich die hohen Prognosen einiger Anbieter weder durch die tatsächlich erzielte Verzinsung ihrer Kapitalanlagen noch durch eine besonders exponierte Sicherheitslage rechtfertigen. Ganz im Gegenteil: Einige Anbieter glänzen mit hohen Renditeprognosen, obwohl die Kapitalanlagen nicht einmal Mindestanforderungen an die Sicherheit erfüllen.

Schließlich bleibt zu hoffen, dass auch die Medien – insbesondere in Form von Verbraucher- und Finanzzeitschriften – erkennen, dass es sich bei den in Aussicht gestellten Ablaufleistungen lediglich um unverbindliche Hochrechnungen der Gesellschaften handelt.

In Großbritannien gehört der angesprochene Stresstest lange schon zum selbstverständlichen Werkzeug des Aktuars in der Lebensversicherung und ist aufsichtsrechtlich vorgeschrieben. In Deutschland dagegen wurde ein solcher Stresstest erst ab Jahresende 2002 von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) verbindlich verlangt.

In Beispielrechungen der Lebensversicherer nicht nachvollziehbar kommentiert Professor Dr. Oskar Goecke (FH Köln) dann am 27.Juni 2000 zu einer Studie der Kölner Ratingagentur ASSEKURATA:

Die Beispielrechnungen in der Lebensversicherung sind zu einem großen Teil nicht nachvollziehbar ... Die Studie belegt, dass die Fokussierung des Wettbewerbs auf die versprochene Ablaufleistung zu einer Fehlallokation führen kann. Nicht der leistungsstärkste Versicherer gewinnt den Kunden, sondern der Versicherer, der am meisten verspricht. Der "Wettbewerb der Versprechungen" ist dabei für Kunden und Versicherungsunternehmen gleichermaßen gefährlich. Der Kunde wiegt sich in falscher Sicherheit und die Lebensversicherer verlieren ihre Glaubwürdigkeit.

Weiter stellt ASSEKURATA dazu fest:

Problematisch ist es, wenn die hohen Zinsen der Vergangenheit in der derzeitigen Niedrigzinsphase in den Beispielrechnungen zur Berechnung der Ablaufleistungen genutzt werden. Da auf Grund der sehr optimistischen Einschätzung der Verzinsung gegenwärtig die Beispielrechnungen in bedeutendem Maße nicht mehr nachvollziehbar sind, hält ASSEKURATA es für angebracht, im Rahmen der Neutarifierung die Höhe der Gewinnbeteiligung nach unten zu korrigieren. Eine marktweite Korrektur der Gewinnbeteiligung würde die Vertrauenswürdigkeit der Beispielrechnungen erhöhen. Für den Kunden ist es besser, dass die Beispielrechnung von niedrigeren Werten ausgeht, die dafür dann aber auch mit höherer Wahrscheinlichkeit eingehalten werden können, als wenn ihm zu optimistische Versprechungen gemacht werden.

Im Laufe des Jahres 2001 verschärfte sich die Situation weiter. Die von der Rating-Agentur ASSEKURATA veröffentlichte Pressemitteilung vom 23.November 2001 Neuordnung des § 341b HGB – Hilfestellung für die Kapitalmärkte und die Versicherungsunternehmen – ein Problem für die Verbraucher verlautbart:

Niedrige Gewinnbeteiligungen führen auch zu niedrigen Renditeerwartungen in den Beispielrechnungen im Neugeschäft. Dr. Reiner Will, ASSEKURATA: „Es besteht die Gefahr, dass Unternehmen ihre Gewinnbeteiligung nicht den wirtschaftlichen Gegebenheiten entsprechend weit absenken, damit sie sich mit höheren Beispielrechnungen Startvorteile im privaten Altersvorsorgemarkt sichern.

Insbesondere bestehe die Gefahr,

dass Lebensversicherer ihre Substanz angreifen, um 2002 mit hohen Gewinnbeteiligungen aufwarten zu können. So ist verstärkt zu beobachten, dass z. B. stille Reserven in den festverzinslichen Namenspapieren realisiert werden, die dann zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Außerdem wird zunehmend in riskantere Finanzmarktinstrumente investiert, beispielsweise in Papiere mit fallenden Zinsen.

Durch die Neuordnung des § 341b HGB entfiel für die Unternehmen zum 31.12.2001 der Zwang zur stichtagsbezogenen Bewertung der Kapitalanlagen zum strengen Niederstwertprinzip. ASSEKURATA sieht hier eine erhebliche Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Überschussprognosen und Beispielrechnungen der Lebensversicherer:

Anstatt einer vorsichtigen Ermittlung unbedenklich ausschüttungsfähiger Gewinne erfolgt eine Ausschüttung von Gewinnen, die – stichtagsbezogen – nicht erwirtschaftet worden sind, weil Vermögensverluste nicht erfolgswirksam bilanziert wurden. ... Im negativen Fall kann es dazu führen, dass ein Unternehmen Prognosen abgibt, die es nicht einhalten kann, d. h. erhebliche stille Lasten aufbaut. Dr. Reiner Will, ASSEKURATA: „In dieser Frage entscheidet sich die Vertrauenswürdigkeit der gesamten Lebensversicherungsbranche. Wer jetzt aus Vertriebsgründen zu optimistisch bewertet, schadet gegebenenfalls allen Lebensversicherern. ...

Da die neuen Bilanzierungsvorschriften den Gestaltungsspielraum der Versicherer erweitern, kann der Verbraucher seine Anlageentscheidung noch weniger auf die Beispielrechnungen stützen. Er muss sich zusätzliche Informationen beschaffen, aus denen er zumindest ansatzweise ableiten kann, wie zuverlässig oder realistisch die Angebote sind.

Solche zusätzlichen Informationen müsste sich auch ein verantwortlicher Aktuar verschaffen und bewerten, bevor er einen qualifizierten Vorschlag zur künftigen Überschussbeteiligung unterbreitet. Es ist jedoch nicht nur fraglich, ob er diese Informationen immer erhielt, sondern auch, ob er immer über die notwendigen Methoden verfügte, um die Ertragssituation und Risiken der Kapitalanlagen richtig einschätzen zu können. Festzustellen ist, dass – im Gegensatz zu Großbritannien - erst verstärkt in jüngster Zeit die Aktuare überhaupt aufgerufen und ermahnt werden, sich auch mit der Aktivseite der Bilanz zu beschäftigen, nachdem diese bisher als Domäne der Kapitalanleger angesehen wurde.

Aufgrund einer Untersuchung des Analysehauses Morgen&Morgen veröffentlichte Capital unter dem Titel Versprechen gebrochen? in Heft 17/2002 Vergleichsdaten der Lebensversicherungsunternehmen zur Überschussdeklaration für 2002 im Verhältnis zu stillen Lasten zum 31.12.2001 und tatsächlich realisierter Nettorendite des Jahres 2001, die oft deutlich unter den für 2002 noch deklarierten Überschussbeteiligungen lagen. Auch soweit diese aus der Auflösung von freien Mitteln noch für 2002 finanzierbar war, wäre es bedenklich gewesen, diese maximale Höhe der Überschussbeteiligung auch gegenüber Neukunden für Beispielrechnungen oder Überschussprognosen auf Dauer zugrunde zu legen.

Aber selbst noch auf der Frühjahrstagung der DAV am 30.04.2003 bemängelte Regierungsdirektor Wolfgang Vogel (BaFin), Aktuar DAV, dass auch für 2003 von unterschiedlichen Lebensversicherungsunternehmen noch vor dem Hintergrund der gesunkenen Kapitalerträge weiterhin unrealistisch hohe Überschussdeklarationen vorgenommen wurden.

Und auch noch in der Versicherungswirtschaft 3/2004 vom 01. Februar 2004, S. 126 wird unter "Zwei Drittel aller Beispielrechnungen zu hoch, Assekurata: Deklarationen für 2004 intransparent - Überschussbeteiligung sinkt auf historisches Tief" festgestellt:

Die Mehrzahl der deutschen Lebensversicherungsunternehmen hat 2003 ihren Neukunden eine falsche Beispielrechnung vorgelegt. Im Herbst 2003 waren 2 von 3 Angeboten nicht plausibel, sagte Dr. Reiner Will, Geschäftsführer der Assekurata Assekuranz Rating Agentur GmbH, Köln, bei der Vorstellung zweier Studien in Köln. Die üblicherweise bei Vertragsabschluss vorgelegten Beispielrechnungen, welche die mögliche Höhe der Ablaufleistungen zeigen, fielen der Studie "Der Renditewettbewerb in der Lebensversicherung - Marktstudie 2003" zufolge zu hoch aus.
 

Transparenz durch Sachverständige

Laut Dr. Peter Präve (GDV) - in einem Referat zum Thema Transparenz und Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung im Rahmen des GDV-Pressekolloquiums am 19.02.2000

sollten den Versicherungsnehmern mit der Verbraucherinformation technische Hinweise gegeben werden, die sie in die Lage versetzen, sich an Experten zu wenden. Hiermit könnten mathematische Vorgaben abgebildet werden. Dies begegnet auch unter AGB-rechtlichen Gesichtspunkten keinen Bedenken, da es sich um komplexe Sachverhalte handelt, die dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer im Detail anderweitig nicht nähergebracht werden können. Versicherungsmathematische Hinweise würden insofern den Willen der Versicherer unterstreichen, Berechnungsgrundsätze offenzulegen und die Leistungsbeschreibung zu präzisieren.

Die Versicherungswirtschaft verspricht sich hiervon einen wichtigen Beitrag in der gegenwärtigen Transparenzdiskussion. Kritik, wie sie jetzt wieder verstärkt artikuliert wird, ist nichts anderes als Begehren nach Vervollkommnung. Gegen eine Vervollkommnung ist von Versichererseite nichts einzuwenden.

Eine entsprechende unverbindliche Empfehlung - GDV-Rundschreiben 0456/2000 vom 25.02.2000, ergänzt durch 0346/2001 vom 09.02.2001 - des GDV an seine Mitgliedsunternehmen betrifft allerdings nur neu abgeschlossene Versicherungsverträge. Dazu schreibt Dr. Peter Präve in DIE GESTALTUNG DER VERSICHERUNGSBEDINGUNGEN IN DER LEBENSVERSICHERUNG (Langfassung ZfV 2000, 549ff.; update v. 12.2.01)

Erstmals werden sogenannte versicherungsmathematische Hinweise gegeben, was damit in Zusammenhang steht, dass die Überschussbeteiligung stark versicherungsmathematisch geprägt ist. Entsprechende Hinweise werden den Versicherungsnehmer befähigen, sich gegebenenfalls an Experten zu wenden, um hier noch nähere Auskünfte einholen zu können. Dies begegnet auch unter AGB-rechtlichen Gesichtspunkten keinen Bedenken, da es sich um komplexe Sachverhalte handelt, die dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer im Detail anderweitig nicht nähergebracht werden können. Die versicherungsmathematischen Hinweise unterstreichen insofern den Willen der Versicherer, entsprechendes Material offenzulegen und den Leistungsbeschrieb zu realisieren. Gleichzeitig sollen die Hinweise überzogenen, nicht realisierbaren Transparenzforderungen - aus Laienperspektive­ entgegenwirken.

Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28.12.1999 1 BVR 2203/98 - hier betreffend die Überprüfung von Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung - festgestellt hat, steht das Geheimhaltungsinteresse des Versicherungsunternehmens über seine interne Kalkulation dem Interesse des Verbrauchers an effektivem Rechtsschutz nicht entgegen.
 

Welche Fehler bei der Darstellung der Überschussbeteiligung können zu Schadenersatzansprüchen führen?

Hier kommen unterschiedliche Fallgestaltungen vor, die nicht abschließend aufgeführt werden können. Als wichtigste seien zusammenfassend die folgenden genannt:

  • Die Unverbindlichkeit von Prognosen oder Beispielrechnungen wurde nicht klar genug hervorgehoben. In solchen Fällen könnte die Prognose sich als verbindlich einzuhalten herausstellen. Prognosen können sich auf in Aussicht gestellte Renditen, Überschüsse oder Ablaufleistungen beziehen. Auch das Erreichen eines bestimmten Ziels (z. B. vollständige Tilgung einer definierten Darlehenshöhe oder des Barwerts einer Altersversorgungszusage bei Ablauf der Versicherung) kann eine Prognose darstellen.
  • Es wurden irreführende Begriffe verwendet, die beim Versicherungsnehmer falsche Vorstellungen oder Erwartungen weckten. Hierunter fällt beispielsweise ein unklarer bzw. falsch angewendeter Renditebegriff – wie eine abweichend von Kapitalanlageprodukten definierte Nettorendite im Zusammenhang mit Vorstellungen zur Lebensversicherung als Kapitalanlage.
  • Der Unterschied einer Lebensversicherung zu Kapitalanlagen wurde nicht deutlich genug herausgestellt, so dass der Versicherungsnehmer den falschen Eindruck einer Sparanlage gewinnen konnte.
  • Die Rendite wurde entsprechend „falsch“ berechnet, insbesondere nicht auf die gesamte gezahlte Prämie bezogen.
  • Die Überschussprognosen bezogen nicht den konkreten Sachverhalt und die Daten des Kunden ein, sondern wurden von anderen Beispielen ungeprüft verallgemeinert und übernommen.
  • Die tatsächliche Überschussberechnung erfolgte nach Formeln, Kriterien oder Maßstäben, die von den in der Beispielrechnung vorgegebenen abweicht. Die tatsächliche Höhe der Überschussdeklaration erfolgte durch den Vorstand nach Grundsätzen, die von denen der Beispielrechnungen abweichen, ohne dass dies z. B. wegen veränderter Rahmengegebenheiten erforderlich war. Z. B.: vorhandene Risikoüberschüsse werden ohne zwingenden Grund bei der Deklaration nicht berücksichtigt, obwohl sie in den Beispielrechnungen noch mit enthalten waren.
  • Die Überschussprognosen oder Ablaufleistungen waren von Anfang an unrealistisch oder unbegründet, z. B. weil zum Zeitpunkt ihrer Erstellung die Möglichkeit zu ihrer dauerhaften Finanzierung bei realistischer Betrachtung bereits sehr unwahrscheinlich oder völlig ungewiss und nicht nachvollziehbar war.

Betroffen sind neben Kapitallebensversicherungen und Rentenversicherungen auch Berufsunfähigkeitsversicherungen. Hierbei kann sich die Reduzierung der Überschussbeteiligung zum einen in verminderten Ablaufleistungen, zum anderen auch in verminderten Rentenhöhen wegen Reduzierung der Überschussrenten auswirken. Speziell bei Berufsunfähigkeitsversicherungen kann es infolge zurückgehender Zinsüberschüsse auch zu einer Reduzierung des sogenannten Beitragsvorwegabzugs kommen, wodurch sich die durch den Beitragsvorwegabzug auf die Nettoprämie verminderte Bruttoprämie und damit der Zahlbeitrag des Versicherungsnehmers erhöht.

Eine Prämienerhöhung oder Verminderung von Überschussrenten wegen verminderter Überschüsse kann sich also ebenfalls als unzulässig erweisen, wenn mit diesen Prämien oder Überschussrenten geworben wurde, obwohl die Notwendigkeit zur Reduzierung der Überschussbeteiligung bereits absehbar war.

Weshalb z. B. eine nachträgliche Verminderung von Renten in der privaten Rentenversicherung wegen einer bei Vertragsabschluss bereits dem Versicherer bekannten unrealistischen Annahme (hier unrealistische Sterbetafel) unzulässig ist, wird durch entsprechende Gerichtsurteile belegt und vom Sachverständigen auf der Seite RENTENVERSICHERUNG erläutert.
 

Leistungen des Sachverständigen

Der Sachverständige erstellt in einschlägigen Fällen sowohl Gerichtsgutachten wie auch Privatgutachten. Eine kostengünstige Vorprüfung kann aufgrund eines Fragebogens nach Einreichung der dort aufgeführten erforderlichen Unterlagen vorgenommen werden, der per eMail beim Sachverständigen angefordert werden kann.

Die Prüfung kann bei abgelaufenen Lebensversicherungsverträgen erfolgen, ebenso aber auch bei vom Versicherer mitgeteilten Änderungen. Speziell bei zwischenzeitlich aktualisierten Überschussprognosen oder Mitteilungen über die Reduzierung der zu erwartenden Ablaufleistungen sollte eine Überprüfung erfolgen, da in diesen Fällen bei Abwarten bis zum Vertragsablauf Rechte verloren gehen können.

Erfahrungsgemäß kann damit gerechnet werden, dass mehr als 95 % der Ansprüche auf außergerichtlichem Weg geklärt werden können.

Selbstverständlich steht er als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung (PKV) auch für andere versicherungsmathematische Fragen gerne zur Verfügung.
 


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