Beitragsanpassungen in der PKV
Der Verbraucher selbst ist es außergerichtlich nahezu unmöglich, Prämienanpassungen bzw. Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung selbst zu überprüfen. Dies würde nämlich erfordern, dass detaillierte Unterlagen zur Beitragsanpassung vom PKV-Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, die jedoch dort zu den Geschäftsgeheimnissen zählen. Daher ist in der Regel die Hilfe eines sachverständigen Gutachters notwendig.
Ursachen und Wirkungsweise von Beitragsanpassungen
Die Auswirkung der Alterungsrückstellung wird oft überschätzt. Tatsächlich sind gerade Versicherte mit langer Versicherungsdauer und deshalb bereits sehr hohen Alterungsrückstellungen aus versicherungsmathematischen Gründen besonders stark von Beitragserhöhungen betroffen - zumindest wenn man von den prozentualen Erhöhungen ausgeht. Weshalb das so ist, wird unter
Alterungsrückstellung dargestellt.
Wie leicht selbst geringe Steigerungen der Krankheitskosten zusammen mit einer Veränderung der Lebenserwartung oder einem Rückgang der Kündigungen bei länger Versicherten zu starken Erhöhungen führen, kann mit einem zum Download bereitstehenden Excel-Modell
Beitragsanpassung nachgerechnet werden.
Oft lassen sich vor einer gerichtlichen Klage gegen eine Beitragsanpassung bereits mit Hilfe des Sachverständigen Anhaltspunkte gewinnen, die zur Substantiierung einer Klage vorgetragen werden können. In einigen Fällen haben sich auch Versicherte zu Sammelverfahren zusammengeschlossen, um eine gemeinsame Überprüfung einer Beitragsanpassung zu ermöglichen. Hier können durch Musterprozesse erhebliche Kosten gespart werden. Allerdings nutzt ein solcher Musterprozess nur den Versicherten, die an diesem Verfahren teilnehmen, da der Versicherer nicht verpflichtet ist, das Ergebnis eines Musterprozesses auch auf andere Kunden anzuwenden.
Privatgutachter
Ein Sachverständiger, der bereits im Vorfeld eines Gerichtsverfahrens für eine spätere Streitpartei beratend oder gutachterlich wegen der betreffenden Prämienerhöhung tätig war, kann bei einer Klage gegen diese Prämienanpassung im nachfolgenden Gerichtsverfahren wegen des Verdachts der Befangenheit abgelehnt werden. Sein vorangegangenes Privatgutachten zur Beitragserhöhung zählt als Parteivortrag und kann daher nicht als neutrales Gerichtsgutachten verwertet werden.
Das Gericht ist nicht verpflichtet, einen Gerichtssachverständigen zu beauftragen. Wenn das Krankenversicherungsunternehmen seiner Darlegungs- und Beweislast so nachkommt und ausreichend aussagefähige Unterlagen vorlegt, kann das Gericht sich u. U. ausgehend von diesen Unterlagen, daraufhin erstelltem Privatgutachten und dem weiteren Vortrag der Parteien bereits ein Urteil bilden. Im anderen Fall müßte das Gericht dann für die gerichtliche Überprüfung der Beitragsanpassung erneut einen Sachverständigen beauftragen, ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu erstellen. Damit würde - da der Kreis der in Frage kommenden unabhängigen Gutachter sehr klein ist - die gerichtliche Überprüfung der Prämienerhöhung ganz erheblich erschwert.
Während bei Gerichtsgutachten der Auftragsumfang für das Sachverständigengutachten durch den Beweisbeschluss vorgegeben ist, kann der Auftragsumfang für die Gutachtenerstattung bei Privatgutachten vereinbart werden. Die Beschreibung der durch den Sachverständigen zu erbringenden Leistung muss nach neuem Schuldrecht auch sehr konkret erfolgen, da sonst vom Auftraggeber eingewendet werden kann, dass die Gutachtenleistung nicht vollständig erbracht wurde. Ggf. müsste dann nachgebessert werden, Honoraransprüche können verlorengehen oder es entstehen sogar Schadenersatzansprüche. Die Bereitstellung der Kalkulationsgrundlagen des Versicherungsunternehmens, wie sie dem mathematischen Treuhänder vorgelegt wurden, kann nur freiwillig erfolgen.
Der Gutachtenerstattung kann eine - kostenpflichtige - Beratung vorausgehen, auch um den Gutachtenauftrag abzustimmen. Welche Kosten entstehen, richtet sich nach dem Umfang der zu beurteilenden Sachverhalte. Die dem mathematischen Treuhänder vorgelegten Statistiken des Versicherers können ungeprüft übernommen oder anhand weiterer betriebsinterner Unterlagen abgeglichen werden. Die der betreffenden Prämienanpassung vorangegangene Prämienkalkulation kann mit überprüft werden, um festzustellen, ob diese etwa bereits zu niedrig war und deshalb möglicherweise unzulässige Nachholeffekte auftraten. Je nach Umfang des Gutachtenauftrags können die Kosten zwischen ca. 1.500,-- bis über 10.000,-- Euro variieren.
Gelegentlich reichen Versicherer bei einer Klage gegen eine Beitragsanpassung ihre Berechnungsgrundlagen zumindest auszugsweise dem Gericht ein, ohne dass ein Sachverständiger vom Gericht bestellt wird. Die Unterlagen zur Beitragsanpassung werden dann dem Kläger vom Gericht zugestellt mit der Aufforderung, dazu binnen einer Frist Stellung zu nehmen. Hier empfiehlt sich regelmäßig, dass ein Sachverständiger ein qualifiziertes Privatgutachten (Parteigutachten) erstellt, in dem die Berechnungsgrundlagen soweit möglich überprüft werden. Die dort getroffenen Feststellungen stellen substantiierten Parteivortrag dar und dürfen vom Gericht oder einem vom Gericht beauftragten Gerichtssachverständigen nicht außer Acht gelassen werden.
Wurde bereits ein Sachverständigengutachten durch einen anderen vom Gericht beauftragten Sachverständigen erstellt, so erhalten die Parteien die Gelegenheit, binnen einer Frist dazu Stellung zu nehmen. Hier empfiehlt es sich für eine qualifizierte Stellungnahme das Gerichtsgutachten durch einen Privatgutachter prüfen zu lassen. Mit einem Privatgutachten begründete Einwendungen gegen das Gerichtsgutachten dürfen vom Gercht nicht außer Acht gelassen werden; ggf. wird der Gerichtsgutachter deshalb zu einer weiteren Stellungnahme aufgefordert.
Grundsätze zu vorprozessualen Privatgutachten sowie zu Privatgutachten während des Gerichtsverfahrens - einschließlich der Frage der Kostenerstattung als notwendige Verfahrenskosten - sind auf der Seite
Privatgutachten zusammengestellt.
Schiedsgutachter
Das Privatgutachten wird die für die rechtliche Würdigung der Zulässigkeit einer Prämienanpassung erforderlichen fachlichen Tatsachen liefern, zu weiteren rechtlichen Fragen wird der Sachverständige jedoch nicht Stellung nehmen. Die rechtliche Beurteilung muss sich aufgrund der im Sachverständigengutachten festgestellten fachlichen Ergebnisse anschließen, wobei diese auch deshalb schwierig sein kann, weil es sich noch um juristisches Neuland handelt. Im Streitfall wird sich daher eine weitere gerichtliche Überprüfung - zumindest in rechtlicher Hinsicht - nicht vermeiden lassen.
Es kann sich deshalb empfehlen, den rechtlichen Sachverhalt zuerst abzuklären und dann einen Schiedsvertrag zwischen den Parteien abzuschließen, der die noch vom Sachverständigen als Schiedsgutachter zu begutachtenden Fragen genau beschreibt. Ein solches Schiedsgutachten ist dann für beide Parteien bindend, so dass ein weiterer Rechtsstreit vermieden wird.
Gerichtsgutachter
Der Verbraucher wird daher zur Überprüfung einer Beitragsanpassung in der PKV letztlich immer auf den Rechtsweg angewiesen sein.
Wie durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.12.1999 1 BVR 2203/98 bestätigt wurde, haben die ordentlichen Gerichte im Streitfall eine umfassende inhaltliche und rechtliche Überprüfung einer beanstandeten Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung vorzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat auch ausgeführt, wie dabei das Geheimhaltungsinteresse des Versicherers gewahrt werden kann, indem alle Prozessteilnehmer zur Verschwiegenheit verpflichtet werden und die Öffentlichkeit ausgeschlossen bleibt. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige sind von Gesetzes wegen bereits zur Verschwiegenheit verpflichtet.
Für die gerichtliche Überprüfung einer Beitragsanpassung in der PKV wird vom Gericht regelmäßig ein Sachverständiger - vornehmlich ein von der IHK öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung - als Gerichtsgutachter beauftragt, ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu erstellen.
Sachverständige für Versicherungsmathematik der privaten Krankenversicherung (PKV) - wenn auch nicht öffentlich bestellt und vereidigt - finden sich hauptsächlich in privaten Krankenversicherungsunternehmen sowie - außerhalb der PKV-Unternehmen - als von diesen bestellte unabhängige Treuhänder, die mit Prüfungen und Zustimmungen zu Prämienanpassungen befasst sind. Es gibt nachvollziehbare Gründe, weshalb ein solcher in aller Regel von den Parteien als Gerichtssachverständiger abgelehnt wird.
Der Gerichtsgutachter wird als Gehilfe des Richters zu fachlichen Fragen Stellung nehmen, nicht aber zu Rechtsfragen. Dazu erhält er vom Gericht einen Gutachtenauftrag, der als Beweisbeschluss gefasst ist und konkret den zu überprüfenden Sachverhalt beschreibt.
Eine - unzulässige - Rechtsfrage wäre z. B.: Ist die Beitragsanpassung in dieser Höhe rechtmäßig? Hier wäre zudem die Grenze zu einem unzulässigen Ausforschungsbeweis wohl überschritten.
Rechtsfragen muss letztlich das Gericht selbst mit Hilfe des Sachverständigengutachtens entscheiden. Dabei legt das Gericht ggf. vorab den Maßstab fest, nach dem der Sachverständige die Fragen zu beurteilen hat.
Beweisbeschluss und Gutachtenauftrag
Ein Beweisbeschluss zur Überprüfung einer Beitragsanpassung kann etwa wie folgt aussehen:
Es soll Beweis erhoben werden über die Behauptung der Beklagten, die von ihr vorgenommene Erhöhung der für den Kläger geltenden Tarife XYZ von ... € auf ... € mit Wirkung zum ...... sei rechnerisch richtig erfolgt, durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens.
Der Sachverständige soll sich insbesondere dazu äußern, ob die tatsächlichen Grundlagen der Berechnung durch die Beklagte zutreffend und vollständig festgestellt wurden, die Anwendung der versicherungsmathematischen Verfahren zur Prämienermittlung fehlerfrei erfolgte und die rechtlichen Vorgaben der §§ 12 ff VAG sowie der Kalkulationsverordnung vom 18.11.1996 erfüllt sind.
Um die Benennung eines geeigneten Sachverständigen soll die IHK ... ersucht werden.
Die Beauftragung des Sachverständigen mit der Erstellung des Gutachtens ist davon abhängig, dass die Beklagte bis zum ..... einen Gebührenvorschuss i. H. v. ...... € in die Gerichtskasse einzahlt.
Ein solcher Beweisbeschluss setzt auf den Behauptungen des Klägers - und dem darauf folgenden strittigen Vortrag der Beklagten - auf, die in der Klageschrift oder im weiteren Verfahren soweit möglich substantiiert vorgetragen werden müssen. Allerdings kann nicht verlangt werden, dass hier bereits genau gesagt wird, welcher mutmaßliche Fehler in der Prämienkalkulation des PKV-Unternehmens vorliegen soll; dazu wäre der Kläger mangels Kenntnis der Kalkulationsgrundlagen der Beklagten auch gar nicht in der Lage.
Über den im Gutachtenauftrag umrissenen Umfang darf der Sachverständige nicht hinausgehen, selbst wenn er weitere Mängel erkennt. Sonst könnte er auch jetzt noch wegen des Verdachts der Befangenheit abgelehnt werden und sein Gutachten wäre im Gerichtsverfahren nicht verwertbar.
Er soll und wird sich zwar an das Gericht wenden, wenn der Gutachtenauftrag unklar ist, jedoch darf auch das Gericht nicht über die nach dem Vortrag der Parteien strittigen Fragen hinausgehen und in eigener Initiative weitere Sachverhalte ausforschen.
Nach dem o. g. beispielhaften Beweisbeschluss wird der Sachverständige z. B. wohl kaum dazu Stellung nehmen, ob die vor der Prämienanpassung gültigen Prämien bereits zu niedrig kalkuliert waren und die Erhöhung der Prämie auf die jetzt erst ausreichenden Berechnungsgrundlagen nur deshalb so stark war. Auch wird u. U. nicht überprüft, ob die Prämiensteigerungen auf Veränderungen beruhen, die vom Versicherungsunternehmen selbst verursacht und von diesem zu vertreten sind, so dass ihre Weitergabe an die Versicherten unzulässig sein kann.
Wenn der Kläger will, dass weitere Sachverhalte geprüft werden sollen, muss er also durch entsprechende Behauptungen zumindest ansatzweise entsprechend substantiiert vortragen, damit dies in den Beweisbeschluss eingehen kann.
Mögliche Problempunkte bei Prämienanpassungen
Ein Punkt kann sein, wenn die Beitragserhöhung nicht nur durch entsprechende Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse, sondern durch zusätzliche Änderung der Kalkulationsgrundsätze des Unternehmens verursacht werden: z. B. zusätzlich erhöhte Sicherheiten gegenüber der bisherigen Kalkulationsmethode.
Problematisch hierbei ist, dass Sicherheiten in den Berechnungsgrundlagen sogar gesetzlich vorgeschrieben sind und auch sehr hohe Sicherheiten und dadurch erhöhte Prämien zunächst nicht gegen die einschlägigen gesetzlichen Regelungen im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) einschließlich der dazu erlassenen Kalkulationsverordnung (KalV) verstoßen. Auch schreitet z. B. die Aufsichtsbehörde allenfalls gegen zu niedrige Prämien ein, nicht aber gegen "zu hohe". Dennoch könnten unangemessen und sachlich nicht begründet überhöhte Rechnungsgrundlagen zumindest im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Prämienanpassung beanstandet werden, denn die Prämien dürfen vertraglich und gesetzlich nur soweit erforderlich erhöht werden.
Unzureichende Erstkalkulation
Da PKV-Unternehmen in den für den Neuzugang geöffneten Tarifen von sich aus auf möglichst konkurrenzfähige Prämien achten, könnte hier statt der überzogenen Kalkulation nach einer Beitragserhöhung tendenziell auch eine ursprünglich zu niedrige Kalkulation erwartet werden. Auch dadurch wird es zu zusätzlichen Erhöhungen kommen, wenn bei einer späteren Beitragsanpassung auf zumindest ausreichende Berechnungsgrundlagen übergegangen wird. Nicht zuletzt durch eine entsprechende Ergänzung im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) wurde festgestellt, dass eine solche Prämienerhöhung unzulässig sein kann.
Verspätete Beitragsanpassung
Erhöhungen der Versicherungsprämie können z. B. auch dadurch mitverursacht werden, dass das Unternehmen die Prämien (ursprünglich einmal richtig kalkuliert) zwischenzeitlich nicht erhöht hat, obwohl sich die tatsächlichen Verhältnisse veränderten. Eine spätere Anpassung der Prämien würde dann verzögert vorgenommen und müsste die Nachholeffekte aus den Veränderungen der Vergangenheit mit umfassen; durch das inzwischen gestiegene erreichte Alter der Versicherten sogar noch zusätzlich erhöht.
Dies kann zum Beispiel eintreten, wenn im Laufe der Jahre die Schäden (sogenannte Kopfschäden) bei Älteren zunehmen und bei Jüngeren fallen. Die zunächst beobachteten "durchschnittlichen" Schäden (sogenannter beobachteter oder tatsächlicher Grundkopfschaden) täuschen dann vor, dass die Kalkulation noch zutreffend sei. Wenn hier - trotz zwischenzeitlich gegebener Rechtsgrundlage zur Prämienanpassung - nicht alle Rechnungsgrundlagen (wie Kopfschaden, Storno, Sterbetafel und Kosten) sowie die Kalkulation aller Prämien des Tarifs überprüft werden, kann sich im Laufe der Zeit ein erheblicher Anpassungsstau aufbauen.
Von der Aufsichtsbehörde wurde deshalb bereits beanstandet, dass manche Unternehmen Beitragserhöhungen erst ab einer Geringfügigkeitsgrenze durchführten. Da eine u. U. als geringfügig angesehene und deshalb unterlassene Erhöhung der Prämien für Neuzugänge (um z. B. 5 %) für länger Versicherte bereits Prämienerhöhungen bis zu mehr als 10 % bedeuten können, verursacht auch dies eine entsprechende zusätzliche Beitragserhöhung bei der nächsten durchgeführten Beitragsanpassung. In der Zwischenzeit sind ja die Veränderungen weiter fortgeschritten; außerdem wurden nur entsprechend geringere Alterungsrückstellungen auf dem alten niedrigen Kalkulationsniveau aufgebaut.
Eine Schwierigkeit für die Gutachtenerstellung ist hierbei zwar, dass ja zunächst gar nicht neu kalkuliert wurde und somit die sonst vorgeschriebenen ausführlichen und nachvollziehbaren Dokumentationen - Herleitung der Berechnungsgrundlagen und statistische Nachweise - im PKV-Unternehmen nicht vorausgesetzt werden dürfen. Hier kann jedoch in Grenzen aus den Verhältnissen bei der folgenden Prämienanpassung (mit den statistischen Beobachtungswerten der vorangegange-nen Jahre) und aus den zwischenzeitlich dem Treuhänder vorzulegenden Anpassungsuntersuchungen zurückgeschlossen werden. Da die Beweislast auch hier wohl das PKV-Unternehmen trifft, dürften fehlende Dokumentationen zu Lasten des Unternehmens gehen.
Berechnung der Alterungsrückstellungen
Nicht allgemein bekannt ist, dass die bei einer Prämienanpassung beitragsmindernd anzurechnende Alterungsrückstellung nur nach den Berechnungsgrundlagen ermittelt wird, die der bisherigen Prämienkalkulation entsprechen. Waren also die bisherigen Prämien unzureichend kalkuliert, so wird man auch von einer dementsprechend niedrigen Alterungsrückstellung ausgehen müssen. Da wiederum auch nur diese bei der Beitragsanpassung - die zunächst von den neuen Prämien zum erreichten Alter ausgeht - beitragsmindernd angerechnet wird, ergibt sich eine entsprechend stärkere Beitragserhöhung, als wenn Alterungsrückstellungen nach voll ausreichenden aktualisierten Berechnungsgrundlagen gebildet worden wären.
Immerhin bestehen auch insbesondere für die Alterungsrückstellung gesetzliche Vorschriften. Selbst wenn die rechtlichen Voraussetzungen (z. B. Ansprechen der Auslösenden Faktoren) für eine Prämienanpassung nicht gegeben sind, dürfen die Alterungsrückstellungen nicht mit unzureichenden Berechnungsgrundlagen gebildet werden, die nicht in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und der dazu erlassenen Kalkulationsverordnung stehen.
Informationspflicht über bevorstehende Beitragsanpassung?
Erst recht dürfen keine unzureichenden Neuzugangsprämien berechnet werden, nur weil für den Bestand eines Tarifs zur Zeit die rechtliche Voraussetzung für eine Beitragsanpassung fehlt. Notfalls sind die Prämien für Neuzugänge noch vor der Beitragserhöhung für den Bestand neu festzulegen.
Wenn kurz nach dem Neuabschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrags eine erhebliche Beitragserhöhung folgt, kann gefragt werden, ob dies dem Unternehmen vorher bekannt war und der Neukunde darüber aufgeklärt wurde. Es ist ja nicht völlig auszuschließen, dass Neukunden noch mit unzureichenden Prämien geworben werden und Informationen über bevorstehende Beitragserhö-hungen und Kalkulationsdefizite - wie etwa eine noch verwendete veraltete Sterbetafel - bewusst zurückgehalten werden.
Dass neu kalkuliert werden muss, ist dem Versicherer oft schon frühzeitig bekannt; die genaue Kalkulation ist ggf. aber erst später abgeschlossen. Ob sich der Versicherer in der PKV erfolgreich darauf berufen kann, dass er über bevorstehende Beitragsanpassungen noch nicht informieren kann, weil die "Kalkulation noch nicht fertig" ist, dürfte fraglich sein.
In entsprechenden Urteilen zur privaten Rentenversicherung wurde festgestellt, dass der Versicherer auch vor der Fertigstellung der Kalkulation auf den Umstand hinweisen muss, dass die Berechnungsgrundlage "Sterblichkeit" nicht mehr ausreicht. Eine statt Beitragserhöhung deshalb hier vorgenommene Leistungsminderung wurde daher gerichtlich als unzulässig festgestellt.
Beitragsbegrenzung aus Überschüssen
Gerade bei älteren Versicherten könnte auch beanstandet werden, wenn entgegen der gesetzlichen Regelung nicht ausreichend auf die aus Überschüssen finanzierte Limitierung der absoluten oder prozentualen Erhöhungen geachtet wird. Hier stellt sich besonders - wie bei der Prämienkalkulation im Allgemeinen auch - die Frage des gesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes der Tarife und Versichertenbestände.
Außergerichtliche Aufklärung des Sachverhalts
Die Umstände der Prämienerhöhung selbst könnten Hinweise auf mögliche Ansatzpunkte geben: eine Erhöhung um z. B. über 50 % - nachdem die Beiträge lange Jahre konstant blieben - oder eine Erhöhung um z. B. über 40 % wenige Monate nach dem Neuabschluss eines Tarifs kann darauf hinweisen, dass die Prämienkalkulation längere Zeit vorher bereits erkennbar zu niedrig war.
PKV-Unternehmen sind bemüht, auch in den mit der Beitragsanpassung versandten Kundenmitteilungen nähere Erläuterungen zu den Gründen und Ursachen der Prämienerhöhungen zu geben. Weitere Informationen - oft in standardisierter Form - sind bei einer Kundenbeschwerde zu erhalten.
Zusätzliche Informationen dürfen dann aufgrund einer nachfolgenden Beschwerde an den Vorstand gegeben werden, wobei ein Kunde unklare Punkte bereits konkreter ansprechen kann. Auf eine Beschwerde an die zuständige Aufsichtsbehörde wird immer eine zusätzliche Stellungnahme des PKV-Unternehmens erfolgen, der ggf. auch ein sogenannter Beitragsberechnungsbogen beigefügt ist.
Ob darüber hinaus wegen einer Prämienanpassung die Beschwerde an den Ombudsmann der PKV sinnvoll sein kann, dürfte eher zweifelhaft sein.
Beweispflicht des PKV-Unternehmens und gerichtliches Sachverständigengutachten
Diese Informationen werden für einen substantiierten Klagevortrag ausreichen müssen. Letztlich wird dann immer das PKV-Unternehmen selbst in der Beweispflicht sein, dass die Prämienanpassung in dieser Höhe zulässig war (sogenannte Negative Feststellungsklage), vgl. Sahmer, Richterliche Überprüfung der Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung, Karlsruhe 2000:
Mit der negativen Feststellungsklage jedoch wird das Versicherungsunternehmen als materieller Anspruchsgegner darlegungsbelastet, muss also im einzelnen vortragen und gegebenfalls auch beweisen, dass der geforderte Beitrag gerechtfertigt ist (BGH, Urteil vom 02.03.1993 - VI ZR 74/92-, NJW 1993, S. 1716 ff)
Im Laufe des Verfahrens kann - auch noch vor dem Sachverständigengutachten - der Sachverhalt weiter erhellt werden.
Das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens unterliegt der freien Beweiswürdigung durch das Gericht. Die Parteien können dazu bis zur letzten mündlichen Verhandlung Stellung nehmen, sowohl fachlich wie zur rechtlichen Würdigung der Ergebnisse. Ggf. kann auch zur Klärung weiterer Fragen, die im Gerichtsgutachten nicht beantwortet wurden - z. B. weil sie im ersten Beweisbeschluss nicht enthalten waren - ein Ergänzungsgutachten - auch vom gleichen Sachverständigen - angefordert werden.
Wegen der meist sehr guten Aktenlage infolge der umfassenden aufsichtsrechtlich bedingten Dokumentationspflicht des Versicherungsunternehmens sind keine Ortsbesichtigungen zur Feststellung von Tatsachen vor Ort erforderlich. Der in Augenschein zu nehmende Gegenstand in Form von Geschäftsplänen bzw. dokumentierten Berechnungsgrundlagen und statistischen Nachweisen kann als Kopie in Papierform vorgelegt und dem Sachverständigen zugestellt werden. Aufgrund der Klarheit, mit der versicherungsmathematische Sachverhalte üblicherweise darstellbar sind, werden in der Regel auch keine Termine zur mündlichen Erläuterung des Gutachtens notwendig sein.
Daher kann die Gutachtertätigkeit des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung ohne besondere Einschränkung bundesweit in Anspruch genommen werden.
Der Sachverständige hat bereits in einer Vielzahl von Gerichtsverfahren wegen Klage gegen Beitragsanpassungen Sachverständigengutachten erstellt. Aus dieser Erfahrung kann festgestellt werden, dass Berechnungsgrundlagen und deren statistische Herleitung durch das Versicherungsunternehmen häufig zu beanstanden sind. Urteile liegen bisher jedoch kaum vor, da Klagen gegen eine Beitragsanpassung in der PKV erst nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ab 2000/2001 zunehmen.
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